Die Bezeichnungen, unter denen sie überliefert sind: "Bild von Edessa", "Mandylion" (svw Schweisstuch, Handtuch), "Acheiropoieton" (svw "nicht von Menschenhand gemacht") und "Vera Ikon" ("Wahres Bild"). Später auch “Veronika”, abgeleitet von einer fiktiven “Heiligen Veronika”.
Sie zeigten angeblich ein körperloses Gesichtsportrait von Jesus Christus, in braunen, erdfarbenen Tönen. Das erste dieser Bilder tauchte im Jahr 544 in Edessa auf, als ein persisches Heer die Stadt belagerte. Der Vision des dortigen Bischofs folgend, wurde es eingemauert über einem Stadttor gefunden. Das offenbar von Gott gesandte Bild, wurde zum Feldzeichen der verzweifelten Bürger der Stadt und mit ihm gelang es, das Belagerungsheer zu vertreiben.
Sofort nach seinem Auftauchen wurden Geschichten gesponnen, wo es hergekommen war, wie es entstanden sei. Ein früherer König von Edessa, Abgar mit Namen, habe mit Jesus korrespondiert und der habe ihm das Tuch geschickt, um ihn von einer Krankheit zu heilen. Eine mitleidige Frau habe Jesus den Schweiss vom Gesicht gewischt auf der Via Dolorosa, worauf Sein Bild auf dem Tuch erschien. Und im Johannes-Evangelium ist bis heute eine Stelle zu finden, die fast schon auf- dringlich und in Abweichung zu den drei anderen Evangelien das Vorhandensein eines "Schweisstuches" im Grab behauptet.
Das Volk entschied sich für die Sage mit der mitleidigen Frau namens Berenike. Und weil das Tuch das "Vera Ikon" war, wurde die Frau umbenannt in Veronika, “Die Heilige Veronika mit dem Schweisstuch”. Diese Heilige wird in den Heiligenkalendern ohne Lebensdaten geführt, im “Martyrologium Romanum”, dem offiziellen Heiligenverzeichnis des Vatikan, taucht sie nicht auf.
Die Wunder um dieses Bildtuch nahmen kein Ende, wenn man den Überlieferungen glauben will: Es gibt tatsächlich alte Quellen, in denen behauptet wird, das "Bild von Edessa" habe sich auf ein anderes Stück Stoff übertragen lassen, indem beide Textilien aufeinandergelegt wurden. Diese Bilder vermehrten sich. Eine "ungläubige" Frau fand eine Kopie auf ihrer Schürze, nachdem sie das Bild davor gehalten hatte. Eine andere zog eine trockene Kopie aus einem wassergefüllten Brunnen. Diese Bilder wurden als Dokumente angesehen. Sie waren berühmt und heilig, wurden entsprechend verehrt und behandelt. Es wurden Kriege um sie geführt, mit ihnen als Feldzeichen gewonnen. Sie wurden als authentische Beweise für das Göttliche betrachtet.
Diese Bilder waren der Überlieferung folgend "selbstzeichnend" entstanden. Monochrom in der Farbgebung. Zusammen mit der angeblichen Fähigkeit sich wieder "autografisch" vervielfältigen zu können, kam dies erstaunlich dicht an eine einfache Beschreibung der Fotografie heran, 1300 Jahre vor ihrer Erfindung. Damit nehmen diese "nicht von Menschenhand gemachten" Bilder die Charakterisierung der Schwarz-Weiss-Fotografie im 6. Jahrhundert vorweg. Interessant in diesem Zusammenhang: Die “Heilige Veronika” wird in vielen Heiligenkalendern auch als “Schutzheilige der Fotografen” geführt.
Natürlich sind diese Bilder noch kein Nachweis, dass die Fotografie schon zu diesem früheren Zeitpunkt erfunden worden war. Aber sie führten mich zu weiteren Überlegungen:
Der französische Philosoph Paul Virilio schrieb, dass der moderne Panzer vom Prinzip her schon erfunden war, als der erste Mensch sich mit einer Lanze in seiner einen Hand und einem Schild in der anderen auf ein Pferd setzte. Alle Merkmale - und damit das Prinzip - dieser modernen Waffe, tauchen in diesem Urbild schon auf: Übermenschliche Geschwindigkeit, Geländegängigkeit, eine Waffe mit einer Wirkung weit über die menschliche Reichweite hinaus, eine Panzerung gegen feindliche Attacken.
Diese Denkweise kann man auch bei den Acheiropoieta anwenden, und das ergab ein interessantes, erstes Zwischenergebnis: Die Formulierung des Prinzips der Fotografie und damit des dokumentarischen Bildes kann auf das Jahr 544 datiert werden. Das würde aber auch bedeuten: Unser Verhältnis zum dokumentarischen Bild ist religiös bestimmt, hatte seinen Ursprung im Glauben an Gott.
Und: Das Grabtuch ist nicht so einmalig, wie es dargestellt wird. Offenbar hat es Vorläufer, “Vorbilder” gegeben.
An diesem Punkt wurde es mir dann doch etwas unheimlich zumute: Dass jemand, der gelernt hatte, mit Waffen umzugehen und darüber hinaus auch reiten konnte, auf die Idee kommen würde, sich bewaffnet auf ein Pferd zu setzen - das kann man sich vorstellen, das ist folgerichtig und logisch. Aber wie kommt jemand dazu, die wesentlichen Merkmale der Fotografie zu beschreiben, 1300 Jahre vor ihrer Erfindung? Gab es auch dafür eine logische Erklärung?
Das ursprüngliche „Edessa-Bild“ verschwand um 1204 herum aus Konstantinopel,geraubt von den Rittern des 4. Kreuzzuges. Einige Zeit später behaupteten gleich drei Städte in Europa, dass sie es besitzen würden: Rom, Genua und Paris. Im heiligen Jahr 1350 wurde die „römische Veronika“ in der Basilika St. Peter öffentlich gezeigt, dabei kam es zu Todesfällen aufgrund des grossen Andrangs der Gläubigen.
In den kunstgeschichtlichen Abteilungen der Bibliotheken fand ich einige Werke von Künstlern, die sogenannte Veronika- Bilder gemalt hatten. Eines der bekanntesten war auf einem Flügel des Flemalle-Altars wiedergegeben, der nach neueren Erkenntnissen dem Maler Robert Campin zugeschrieben wird. Die Tafel zeigt eine ältere Frau (die heilige Veronika) in reicher, roter Kleidung, die ein fast durchsichtiges Schleiertuch in ihren Händen hält. Auf diesem Schleier ist ein Kopfbild mit Haaren und Bart, aber ohne Hals und Schultern zu sehen, das in hell-dunkel Abstufungen eines Brauntons wiedergegeben ist. Das Holz der Tafeln stammt aus den Jahren 1415 bis 1422 - das ergab eine Untersuchung. Campin, der dieses Bild um 1440 gemalt haben soll, war anscheinend nie in Rom gewesen. Dort hätte er die Veronika, die dann nach den Umbauarbeiten im Petersdom um 1608 verschwunden war, noch sehen können.
Ein berühmter Schüler von ihm, Rogier van der Weyden, malte auf die rechte Tafel seines Kreuzigungstriptychons eine Veronika-Darstellung, die sehr ähnlich aussieht und ebenfalls auf 1440 datiert wurde. Diese Datierung kann aber als unsicher gelten: Eine Untersuchung der Holztafel (dendrochronologische Datierung) ergab, dass das Holz im Jahr 1441 geschlagen wurde. Van der Weyden war in Rom, aber wohl erst 1450. Zu dieser Zeit lebte Campin bereits nicht mehr. Die Darstellung des Tuches hat van der Weyden vielleicht von seinem Meister übernommen, wenn er das Bild vor seinem Rom-Besuch gemalt haben sollte. Was er nicht übernommen hatte, war die Idee des Schleiers. Woher Campin diese Idee hatte, ist leider nicht bekannt.
Hieronymus Bosch malte eine ganz ähnliche Wiedergabe des Tuches am unteren linken Rand seines Bildes "Die Kreuztragung", entstanden um 1500. Bosch könnte in Rom gewesen sein - sicher ist das allerdings nicht. Wenn, dann um das Jahr 1500 herum.
Ein spanischer Maler, Francisco de Zurbaran, war regelrecht besessen von diesem Motiv: Mindestens zehn verschiedene "Schweisstücher" entstanden in seiner Werkstatt im 17. Jahrhundert. Allerdings war auch er nie in Rom gewesen - was aber auch keinen Unterschied gemacht hätte. Die römische Veronika war zu seinen Lebzeiten schon verschollen. Also musste er seine Phantasie von anderen Wiedergaben der Veronika anregen lassen.
Und dann fand ich noch zwei Veroniken von El Greco, eine von Hans Memling, eine von Barbieri, eine von Wynrich und so weiter und so fort ...
Wenn man alle diese Bilder miteinander vergleicht, dann fällt Folgendes sofort auf: Je früher sie entstanden sind, desto ähnlicher sind sie sich. Auf späteren Bildern gehen dann die Interpretationen der Maler weiter auseinander. Aber auch dann sind die Augen noch offen und auf den Betrachter gerichtet und die Farbgebung ist sehr ähnlich. Keines der frühen Bilder, die sicher datiert sind, zeigt eine Dornenkrone. Die taucht meines Wissens nach erstmalig bei den Veroniken von El Greco auf.
Wenn diese Bilder auf ein Vorbild zurückgehen, dann sind die frühen Bilder die interessanteren. Ich konzentrierte mich also auf die Darstellungen von Campin, van der Weyden, Winrich, Memling und Bosch. Da sind Haare, Bart, Gesichtsausdruck, Augen und Blickrichtung verblüffend ähnlich dargestellt. Dazu kommt die Übereinstimmung in der Farbwahl: Ein dunkles, erdiges Rotbraun als Grundton, das Bild selbst baut sich aus helleren Abstufungen dieser Farbe auf. Kein Hals oder Halsansatz, keine Dornenkrone ist zu sehen. Es fehlen alle Attribute, die Darstellungen von Jesus normalerweise beigegeben wurden. Der Kopf schwebt quasi auf dem hellen Tuch - Campin geht so weit, dass sich die Falten des Schleiers in der Abbildung des Kopfes nicht fortsetzen.
Die ersten deutlichen Abweichungen von diesem Grundmuster gibt es dann bei Zurbaran, der seine Veroniken zwischen 1631 und 1658 malte. Nicht so sehr in der Farbgebung - mal hat er ein etwas graues Braun benutzt, mal einen Ton, der fast an Rötel erinnert. Aber auf allen seinen Veroniken war der Kopf geneigt und leicht zur Seite gedreht, die Augen schauten den Betrachter nicht direkt an und der Gesichtsausdruck hatte unzweifelhaft etwas Leidendes. Dieser Ausdruck und die Kopfhaltung erinnert stark an Bilder, die Jesus am Kreuz zeigen. Manchmal war auch ein leichter Halsansatz erkennbar. Eine der Veroniken hatte fast kein Gesicht, es war nur der Umriss des Kopfes sichtbar. Aber die Haltung des Kopfes war dieselbe.
Es gibt frappierende Übereinstimmungen zwischen dem Edessa-Bild und dem Grabtuch. Beide sind angeblich autografisch, also „selbstzeichnend“ entstanden. Keine subjektiven Menschen hatten diese Bilder angefertigt, gemalt - sie waren das Ergebnis wunderbarer Ereignisse. Und somit das Werk Gottes.
Das Edessa Bild, das „Vera Ikon“ wurde als das Ergebnis eines eher zufälligen Ereignisses dargestellt: Jesus wischt sich mit einem Tuch den Schweiss vom Gesicht.
Über die Entstehung des Bildes auf dem Grabtuch wurde eine wesentlich dramatischere Geschichte erzählt: Es sei entstanden bei und durch die Auferstehung Jesu. Aus Sicht der gläubigen Christen handelte es sich dabei um eines der wichtigsten, wenn nicht um das wichtigste Ereignis in der Lebensgeschichte Jesu. Denn diese Auferstehung von den Toten wurde als eine Prophezeiung, als ein Versprechen für ein jenseitiges Leben verstanden. Und das Grabtuch war das Symbol für dieses Versprechen.
Das Grabtuch kann also als eine Art Weiterentwicklung des Vera-Ikon-Prinzips betrachtet werden, in technischer wie in mythologischer Hinsicht. Das bestärkte mich in meiner Vermutung, dass es geplant hergestellt und in Umlauf gebracht worden war. Eine Reliquie auf Bestellung.
Erstaunlicherweise war in der ganzen Grabtuch-Literatur nur wenig von diesen “Wahren Bildern”, den “Acheiropoieta” zu finden.
Es war aber auch klar, wieso das so war: Für die Befürworter der Echtheit des Grabtuches musste das Grabtuch ein Unikat bleiben - es gab nur einen Gott, einen Sohn, ein Grabtuch. Zumindest, wenn man daran glauben wollte. Das "ich glaube nur, was ich sehe" der Agnostiker wurde hier zum "ich will lieber nicht zu viel sehen, weil ich sonst womöglich nicht mehr glauben kann".
Und für die Gegner war es nicht viel einfacher: Eine solche aussergewöhnliche Fälschung: ja, natürlich, warum nicht. Aber ein Dutzend oder mehr dieser Fälschungen, verteilt auf sechs Jahrhunderte - das wäre sofort als unhaltbare Verschwörungstheorie betrachtet worden. Man hätte von Strukturen ausgehen müssen, die über Jahrhunderte intakt geblieben wären. Und ausserdem war da ja noch die Frage des WER und vor allem die des WIE. Also zog man gleich mit den Befürwortern: Das Grabtuch war ein isolierter Einzelfall. Für die Einen ein wunderbares Wunder, für die Anderen eine wunderbare Fälschung.
Nur der in Australien lebende Engländer Ian Wilson versuchte das Mandylion (eine andere Bezeichnung für das Vera Ikon, das Bild von Edessa) und das Turiner Grabtuch in ein Stück Stoff zu quetschen: Das Mandylion sei das Grabtuch gewesen; so gefaltet und gerahmt, dass nur das Portrait des Herrn zu sehen gewesen sei. Damit versucht er, als Befürworter der Echtheit des Tuches, die grosse zeitliche Lücke zwischen der Grablegung Jesu und dem ersten verbürgten Auftauchen des Grabtuches im Jahr 1355 zu schliessen.
Das Turiner Grabtuch
Es geht um ein sogenanntes Sudarium, ein Leichentuch, angeblich fast 2000 Jahre alt. wichtigste und umstrittenste Reliquie der christlichen Welt. Radiokarbondatiert auf 1260 bis 1390. Ein Tuch aus Leinengewebe, das ein Bild, einen Abdruck des Leichnams Jesus Christus zeigen soll. Das "Turiner Grabtuch".
Der "Grabtuchexperte" Ian Wilson beschrieb dieses Bild: "... wie ein auf das Tuch geworfener Schatten. Die Farbe des Abdrucks kann am Besten als pure, monochrome Sepia bezeichnet werden, und je näher man ihn zu erforschen versucht, desto mehr schwindet er wie Dunst dahin." (1)
Der Fotograf Secondo Pia war der Erste, der mehr als das sah. Er fotografierte das Tuch 1898 zum ersten Mal; anlässlich einer öffentlichen Präsentation. Als er seine gross- formatigen Negative aus dem Fixierbad zog, sah er ein Bild, das um ein Vielfaches deutlicher war, als dieser "auf das Tuch geworfene Schatten". Er kannte diesen Effekt aus seiner Arbeit, wie ihn jeder Fotograf kennt, der noch mit Silbermaterialien gearbeitet hat: Das Negativ wirkt fremd, undeutlich, surreal, anonym. Erst auf dem Positiv wird das Bild, die Person erkennbar. Aber dieses deutlichere, um so vieles lebensechtere Bild auf seinen Glasplatten - das war doch das Negativ?
Ein genauerer Vergleich ergab dann, dass es sich bei der Abbildung auf dem Grabtuch um ein invertiertes Bild handelte. Das heisst, auf dem Tuch war das, was in Wirklichkeit hell war, dunkel wiedergegeben; was in der Realität dunkel war, hell. Das Bild auf dem Grabtuch - der Schatten - war ein Negativ.
Hier geht es um eine grundlegende Funktion der Fotografie, die ich näher erklären möchte: Wenn eine Fotografie nach dem analogen, also dem alten, herkömmlichen Verfahren mit lichtempfindlichem Silberbromid hergestellt wird, dann sind dafür immer zwei Verarbeitungsschritte nötig, die sich ähnlich, aber nicht gleich sind. Im ersten Arbeitsschritt, bei der Aufnahme, entsteht ein invertiertes Bild, ein Bild, in dem die natürlichen Helligkeitswerte umgedreht erscheinen: Hell wird dunkel und dunkel wird hell wiedergegeben. Es entsteht ein sogenanntes Negativ. Die lichtempfindliche Schicht, in der dieses Negativ entsteht, befindet sich auf einem transparenten Schichtträger - früher war das Glas, heutzutage wird Kunststoff verwendet. Das Ganze wird in der Umgangssprache "Film" genannt. Für den zweiten Verarbeitungsschritt benötigt man wieder eine lichtempfindliche Schicht, die sich aber diesmal auf einem Schichtträger aus Papier oder Pappe befindet. Das transparente Negativ wird dann auf dieses "Fotopapier" und dann beides unter eine Glühbirne gelegt. Durch die anschliessende Belichtung werden die Helligkeitswerte erneut umgedreht, invertiert, und es entsteht ein „Positiv“, ein Bild in den richtigen, sehgewohnten Helligkeitsstufen. Eben das, was im normalen Sprachgebrauch eine "Fotografie" genannt wird.
Als Secondo Pia das Grabtuch fotografierte, wollte er, wie üblich, im ersten Verarbeitungs- schritt ein Negativ des Grabtuches herstellen. Das gelang ihm aber nicht, weil das Bild auf dem Tuch bereits invertiert, also schon ein Negativ war. Wenn man aber ein Negativ fotografiert, erhält man nach dem ersten Verarbeitungsschritt ein Positiv. Das war es, was Pia auf seinen entwickelten Glasplatten entdeckte. Und dieses Positiv des Grabtuches war um ein Vielfaches deutlicher und ausdrucksstärker, einfach, weil es sich in sehgewohnten Helligkeitsabstufungen darstellte.
Als diese Entdeckung publik wurde, löste sie starke Reaktionen beim Publikum aus: Das Grabtuch - ein Wunder, das 2000 Jahre lang ein Geheimnis barg. Das ein weiteres Wunder gebar - mittels einer Technik, der Fotografie, die erst rund 1800 Jahre später von Menschen entdeckt worden war!
Eine kurze Geschichte des Turiner Grabtuches
Der erste nachgewiesene Besitzer des Grabtuches, Geoffroy de Charny, kämpfte im Hundertjährigen Krieg auf der Seite Frankreichs. Er war ein bedeutender Ritter seiner Zeit und schaffte es, in den Kronrat von Philipp VI. aufgenommen zu werden. Er schweigt sich Zeit seines Lebens darüber aus, woher er das Grabtuch hat.
1345 nimmt er an einem Feldzug nach Kleinasien, der heutigen Türkei, teil. Unmittelbar nach seiner Rückkehr wird er zum Chevalier ernannt. Er verfolgt den Plan einer Kirchenstiftung in seinem Sprengel Lirey (bei Troyes, ca. 130 km südöstlich von Paris). Verzögert werden diese Pläne erst durch eine Pestepidemie, dann durch die Gefangensetzung Geoffroys durch englische Truppen.
Mitte 1351 ist Geoffroy wieder auf freiem Fuß. Er hat 1354 einen ersten Erfolg mit seinen Stiftungsplänen: Gegenpapst Innozenz VI gewährt Pilgern den Erlass der Sünden, wenn sie Geoffroys Kirche in Lirey besuchen.
1355 wird das Grabtuch in Lirey zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Bischof Heinrich von Poitiers weigert sich, das Grabtuch als echt anzuerkennen. Er behauptet, es sei das Werk eines Künstlers und verbietet die Ausstellung.
Am 19. September 1356 fällt Geoffroy in der Schlacht von Maupertius. Ein Jahr später gewähren zwölf Bischöfe des heiligen Stuhls in Avignon all' denen Erlass der Sünden, welche die Kirche Ste.-Marie zu Lirey und deren Reliquien aufsuchen und für die Seele des Ritters Geoffroy de Charny beten.
Erst 33 Jahre später gibt es neue Nachrichten vom Grabtuch: Am 4. August 1389 ordnet ein Brief König Karls des VI. die Beschlagname des Tuches in der Kirche von Lirey an. Der Bischof von Troyes, Pierre D'Arcis, hatte sich beim König beschwert, dass es sich bei dem ausgestellten Tuch um ein handgemachtes und künstlich bemaltes Tuch handle, dieses aber so präsentiert werde, als wäre es das wahre Grabtuch Christi.
Die Beschlagnahme wird durch eine Petition der Besitzer, Witwe und Sohn von Geoffroy, vorerst verhindert.
Ab dem 30. Oktober desselben Jahres hält sich König Karl eine Woche lang in Avignon auf und konferiert mit Papst Klemens VII. Dabei wird offenbar auch über die Ausstellung des Grabtuches beraten - Papst Klemens ist ein angeheirateter Verwandter der Witwe Geoffroys.
Am 6. Januar 1390 schreibt dieser Papst zwei Briefe: Einen an Bischof D'Arcis, in dem er ihm unter Androhung der Exkommunizierung befiehlt, Stillschweigen über das Tuch zu bewahren. Einen zweiten an Geoffroys Sohn, in dem er ihm die Bedingungen darlegt, unter denen eine Ausstellung des Tuches auch weiterhin gestattet sein soll.
Fünf Monate später gewährt eine päpstliche Bulle all jenen Sündenerlass, die Ste.-Marie in Lirey und ihre Reliquien aufsuchen. Damit war das Grabtuch als Reliquie etabliert, seine Echtheit von höchster Stelle bestätigt.
1457 kommt das Tuch in den Besitz des Hauses Savoyen, ab 1578 wird es in der Kathedrale von Turin aufbewahrt, wo es sich noch heute befindet.
1898 erkannte der Turiner Fotograf Secondo Pia dann das Grabtuch als Negativ.
Im Laufe verschiedener weiterer Untersuchungen stellte sich auch heraus, dass es sich bei diesem Bild um eine Projektion handelt: Das Bild ist nicht der Abdruck eines Körpers, sondern gibt diesen in normalen, sehgewohnten Proportionen wieder - wie ein realistisches Gemälde oder eine Fotografie das tun würde.
Bei Wilson fand ich auch eine Liste der weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen, denen das Grabtuch in der Neuzeit unterzogen wurde.
1973 wurden Dias des Grabtuches in den Sandia Laboratories (USA) in einen Bildanalyse- Rechner eingespeist. Dabei wird festgestellt, dass das Bild Drei-D-Informationen enthält, wie sie bei ganz bestimmten Beleuchtungs - und Belichtungsverhältnissen auf einer Fotografie entstehen können.
1978 konnte das Tuch von einer Gruppe von Technikern und Wissenschaftlern untersucht werden. Diese Gruppe, genannt STURP (nach Shroud of Turin Research Project), kommt zu dem Schluss: Keinerlei Farbauftrag, Pigmente oder Pinselstrukturen sind auf dem Tuch zu finden. Das Bild auf dem Tuch setze sich aus strohgelben Verfärbungen der Faseroberfläche des Leinens zusammen. Diese Veränderungen seien nur an der Oberfläche der Fasern und auf der Bildseite des Tuches zu finden, nicht aber auf der Rückseite des Gewebes. Auch unter den Blutflecken auf dem Tuch seien keine dieser Verfärbungen erkennbar. Eine Erklärung für das Vorhandensein dieser Spuren auf dem Tuch fand man nicht.
1988 folgt die vorerst letzte wissenschaftliche Untersuchung des Tuches: Abschnitte werden einer Radio-Karbon-Datierung unterzogen. Drei voneinander unabhängig arbeitende Institute in Oxford, Tucson und Zürich kommen zu einem im Wesentlichen übereinstimmenden Ergebnis: Der Flachs, aus dem das Tuch gewoben ist, wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit um das Jahr 1350 herum geerntet. Die mögliche Fehlermarge wird mit maximal 130 Jahren angegeben. Daraus ergäbe sich ein wahrscheinlicher Entstehungszeitraum von frühestens 1260 bis spätestens 1390. (2)
Das wesentlichste Ergebnis aller dieser Untersuchungen waren aber meiner Ansicht nach diese „stroh-gelben Verfärbungen an der Faseroberfläche“, die das STURP-Team festgestellt hatte. Weiter hiess es da: „Ähnliche Erscheinungen können durch Verätzungen, etwa mit Schwefelsäure, hervorgerufen werden“.
Wenn ich an diesem Punkt weiterkommen und meine Hypothese beweisen wollte, dann musste ich herausfinden, ob man mit den Mitteln der Purpurfärbung solche Veränderungen an Leinenfasern über einen Belichtungsvorgang hervorrufen kann.
Hier geht es zu den Ergebnissen meiner Untersuchungen.
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